Wenn 122% Feuerwehr
die Lebensbühne verlassen
Wenn 122 % Feuerwehr die Lebensbühne verlassen
TEXT & FOTOS HERMANN KOLLINGER
Wie verabschiedet man sich von einem aktiven Kameraden, der sein Leben der Feuerwehr verschrieben hat und im Alter von nur 49 Jahren auf seinem letzten Weg begleitet werden muss? Die Berufsfeuerwehr Linz sowie die Freiwillige Feuerwehr Alkoven standen vor dieser emotional herausfordernden Aufgabe. Es galt, innerhalb weniger Tage persönliche Wünsche bestmöglich umzusetzen, als auch einen ehrenvollen Abschied zu planen und durchzuführen.
In der Stille des Friedhofs von Alkoven, kurz nach den letzten Worten der Trauerzeremonie, ertönt mit Sicht zum Feuerwehrhaus das Sirenensignal der Feuerwehr. Alle Anwesenden halten inne – als würde die Zeit für einen Moment stillstehen. Ist es Zufall oder ein letzter Gruß? Tatsächlich ist es Samstag, Punkt 12 Uhr mittags, und wie überall im Land heult auch in Alkoven routinemäßig die Sirene. Doch an diesem 12. April 2025 ist nichts Routine: Dieser Sirenenton ist auch ein letztes Geleit für Harald Unter, den Feuerwehrmann, der an diesem Tag zu Grabe getragen wird. Es ist einer jener Gänsehaut-Momente, die niemand der Beteiligten so schnell vergessen wird …
Ein Schock für die Feuerwehrfamilie
Harald Unter (49) war Vollblut-Feuerwehrmann, wie man es nur selten findet. Sowohl beruflich als auch in seiner Freizeit hatte er sich komplett den roten Fahrzeugen und den damit verbundenen Herausforderungen gestellt. Ob Höhenretter, Taucher, Kran-, Drehleiter- und Teleskopmastbühnen oder auch Zillenfahrer – Harald konnte fast alles, was irgendwie mit Feuerwehr in Verbindung stand. Und nicht nur auf Papier, er hatte technisches Know-how, das vielen immer wieder eine ausgezeichnete Hilfe war, ob in der Ausbildung oder im Einsatz. Und das nicht nur zuhause. Nach gesundheitlichen Problemen war Harald mit Zuversicht, aber durchaus auch etwas Skepsis, in eine Operation gegangen – begleitet von den besten Wünschen seiner Kameraden von der Berufsfeuerwehr Linz und jener seiner Heimatgemeinde Alkoven. Doch das Schicksal wollte es leider anders. Komplikationen stellten sich ein und der gesundheitliche Zustand des 49-Jährigen verschlechterte sich zunehmend. Zwei Wochen nach dem medizinischen Eingriff musste die Familie die schwierige Entscheidung treffen, Harald gehen zu lassen. Ein Zug der Berufsfeuerwehr Linz rückte mitten in der Nacht einsatzmäßig zum Krankenhaus aus, stand den Angehörigen Spalier und trauerte mit der Familie mit. Emotionen, die man so meist nur aus den amerikanischen Filmen kennt. Umso berührender, dass das auch Feuerwehr bei uns kann.

Ein bewegender Trauerzug
Drei Marschblöcke, begleitet von Blaulicht und Salut, begleiteten den letzten Weg von Harald. Ein starkes Zeichen der Verbundenheit und Dankbarkeit.
Betroffenheit über die Gemeindegrenze hinweg
Der Verlust des hoch engagierten Feuerwehrmannes schlug Wellen der Bestürzung und Anteilnahme weit über Alkoven hinaus, immerhin war Harald auch im Bezirk als Ausbilder tätig, im LFV auch bei der Höhenretterausbildung aktiv oder auch bei den Taucherlagern oder Wasserbewerben kein Unbekannter. Gerade in der Zille verwies er des Öfteren seine Mitbewerber auf die Plätze. Er war im Zillen fahren nicht nur exzellenter Steuermann, er war vor allem ein perfekter Kranzlmann. Er spürte wie kaum ein anderer im vorderen Teil der Zille auftretende Probleme und glich auch vorausschauend Fahrfehler seines Steuermanns aus. Er ließ es einem aber durchaus auch wissen, dass er sich lieber selbst fährt, weil man ihn sonst sowieso nur aufhalten würde. Fast 90.000-mal wurde der online veröffentlichte Nachruf innerhalb einer Woche aufgerufen und wurde somit zum meistgelesenen Beitrag auf der Webseite – ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie viele Menschen Harald mit seiner Kameradschaft und Fachkunde dennoch berührt hat. Über 30 Jahre lang stellte er sein Leben in den Dienst des Nächtens. Entsprechend tief ist die Lücke, die er hinterlässt – fachlich wie menschlich. Natürlich hatte auch Harald wie jeder andere Mensch seine Ecken und Kanten, aber das Gesamtpaket hat einfach gepasst.
Vorbereitung für einen würdevollen Abschied
«Einen Kameraden wie ihn lässt man nicht einfach so gehen», brachte es ein Feuerwehrkollege auf den Punkt. In den Tagen nach Haralds Tod wandelte sich die anfängliche Fassungslosigkeit in das Bedürfnis, ihm einen Abschied in Würde und Dankbarkeit zu bereiten. Zudem hat Harald, der immer davon überzeugt war, dass er nicht uralt werden würde und so manch‘ für ihn möglicherweise nicht gut endendes Einsatzszenario vor Augen hatte, durchaus das eine oder andere geplant, sollte ihn der Feuerwehrdienst tatsächlich einmal sein Leben nehmen. Fast akribisch plante somit ein Team der Feuerwehr Alkoven mit einer Abordnung der Berufsfeuerwehr Linz die Trauerfeierlichkeiten. Auch die BF Linz stand erstmals vor der traurigen Tatsache, dass ein Kollege noch während seiner aktiven Zeit in die ewige Heimat vorausgegangen ist.
» eder Handgriff, jede Träne und jede Geste an diesem Tag spiegelten die tiefe Dankbarkeit für Haralds lebenslangen Einsatz wider. «
Viele Details wurden besprochen, nichts dem Zufall überlassen – zu groß war von allen Beteiligten der Wunsch, Haralds Lebenswerk angemessen zu würdigen. Harald selbst hatte „den einen oder anderen Punkt“ sogar noch vor seiner Operation deponiert, sollte sie nicht wie erhofft verlaufen. Diese Wünsche des Verstorbenen galt es nun ebenso umzusetzen. So wurde entschieden, Haralds Sarg vor Beginn des Begräbnisses im Feuerwehrhaus Alkoven aufzubahren. Der eigene Feuerwehrstützpunkt, an dem er unzählige Stunden verbracht hatte, sollte der Ausgangspunkt für seinen letzten Weg sein. Kameraden beider Feuerwehren – der Freiwilligen aus Alkoven und der Berufsfeuerwehr Linz – wurden als Sargträger und Ehrenwache eingeteilt. Gemeinsam bereitete man alles vor, was Harald eine Ehre erwies: von der Fahrzeugaufstellung bis zu den Worten, die gesprochen werden sollten. Jeder Handgriff, jede Geste sollte Dankbarkeit und Verbundenheit ausdrücken. Und aufgrund der Vielzahl an erwarteten Gästen auch funktionieren.
Der letzte Weg vom Feuerwehrhaus zur Kirche
Am Samstag, dem 12. April, versammelten sich am Vormittag Dutzende Feuerwehrmitglieder in Ausgehuniform im Feuerwehrhaus Alkoven. Viele nahmen sich einen stillen Moment, salutierten oder kondolierten der anwesenden Trauerfamilie. Drei Marschblöcke waren vorgesehen, je einer für die Berufsfeuerwehr (ca. 120 Personen), für die Feuerwehr Alkoven (ca. 80) und ein gemischter Marschblock aus Feuerwehren und Funktionären der Umgebung (ca. 80 Personen). Angeführt von einem Rüstlöschfahrzeug der Berufsfeuerwehr Linz, verließ der Konvoi langsam die Nordseite des Feuerwehrhauses Alkoven, angeführt von der Musikkapelle. Vier Kameraden – zwei aus Alkoven, zwei aus Linz – hoben den Sarg behutsam auf die vorbereitete Ladefläche des bereitstehenden Feuerwehr-Pickups. Dieses Einsatzfahrzeug diente als ehrenvoller letzter Transport für den Freund – ebenfalls ein Grund, weshalb Harry nie eine Urne hätte haben wollen.
An jeder Kreuzung zwischen Feuerwehrhaus und Kirche standen mit eingeschaltetem Blaulicht vier Fahrzeuge der FF Alkoven sowie ein weiteres der Feuerwehr Polsing. Sobald der Sarg im vorbeifahrenden Konvoi ihre Position passierte, zollte die links und rechts davon positionierte Mannschaft mit einem Salut den Respekt und einen letzten Gruß in Blau.
Vor der Pfarrkirche Alkoven angekommen, wartete bereits ein weiteres beeindruckendes Bild der Verbundenheit: Das Kranfahrzeug der Feuerwehr Alkoven, mit dem Harald so viele Einsätze gemeistert hatte, war mit ausgefahrenem Ausleger aufgestellt. Daran befestigt wehte die rot-weiße Feuerwehrflagge – ein nahezu majestätischer Empfang an der Kirche, der anhand des starken Spaliers allen zeigte, dass hier ein Großer der Feuerwehr seinen letzten Weg antrat.
Abschied am Friedhof – der letzte Alarm
Nach der Trauerandacht in der voll besetzten Pfarrkirche trat die versammelte Feuerwehrfamilie hinaus auf den Kirchplatz. In Zweierreihe standen dutzende Feuerwehrmänner und -frauen Spalier für Haralds Angehörige, die hinter dem Sarg aus der Kirche kamen. Noch einmal schultern seine engsten Kameraden den Sarg und geleiteten „ihren Harry“ auf den Friedhof, der direkt angrenzend liegt. Im Zuge der Abschiedszeremonie lud der Pfarrer zu Haralds letztem Alarm. Wenige Sekunden später ertönte sein persönlicher Personenrufempfänger, der sich am Polster mit den Auszeichnungen befand, und die nur unweit entfernt gelegene Sirene am Feuerwehrhaus heulte für ihn ein letztes Mal. Während des Abklingens derselbigen aktivierten jene Einsatzfahrzeuge von den Kreuzungen, die nun neben dem Friedhof platziert waren, ihre Folgetonhörner über einen Zeitraum von knapp 15 Sekunden. Vor dem Feuerwehrhaus wachte derweilen das schwere Kranfahrzeug der Berufsfeuerwehr Linz. Die an diesem Tag auf dem Fahrzeug eingeteilte Dienstmannschaft hatte es sich nicht nehmen lassen, dieses im Zuge der Begräbnisteilnahme dort entsprechend zu platzieren und im echten Alarmfall einfach von dort aus abzurücken.
Nachdem der letzte Ton der Hörner verklungen war, wurde die Trauerfeierlichkeit fortgesetzt. Inmitten einer Gedenkminute dann ungeplant ein nochmaliger Sirenenalarm. Es war Samstag, 12:00 Uhr mittags – der wöchentliche Probealarm. Für die Trauergemeinde aber klang es fast wie ein Zeichen des Himmels. Eine „zugleich zufällige und doch so passende Einlage“ nannte es später einer der Feuerwehrmänner. Fast möchte man glauben, Harald selbst habe dafür gesorgt, dass sein Alarm zum Abschied noch ein zweites Mal an diesem Tag ertönte.
Letzter Alarm für Harald
Vor der Pfarrkirche Alkoven wehte die Feuerwehrflagge am Kranfahrzeug.
Ein majestätischer Abschied, der Haralds Lebenswerk eindrucksvoll würdigte.
Kameradschaft, Dank und Verbundenheit
Dieser Tag hat allen Beteiligten alles abverlangt – emotional und körperlich. Im Kreis der Feuerwehr Alkoven ist man überzeugt, dass Harald stolz auf seine Kameraden wäre – darauf, wie sie seinen letzten Weg würdevoll und ehrenvoll gestaltet haben, so wie er es sich gewünscht hätte. Jeder Handgriff, jede Träne, jede Geste an diesem Tag drückte die Dankbarkeit für Haralds lebenslangen Einsatz aus. Gleichzeitig führte dieses Abschiednehmen allen vor Augen, was für ein starkes Team sie sind. Viele der Feuerwehrleute erkannten an diesem Tag, dass sie selbst stolz darauf sein dürfen, Teil einer solchen Kameradschaft zu sein.
Inspiration für Feuerwehren im ganzen Land
Die Art und Weise, wie Harald Unter verabschiedet wurde, ist mehr als nur der Nachruf auf einen Einzelnen – sie dient als Vorbild dafür, wie Kameradschaft und Dankbarkeit in der Feuerwehr gelebt werden können. Von der Ehrenwache am aufgebahrten Sarg über den symbolträchtigen Trauerzug mit Blaulicht und Salut bis hin zum bewegenden letzten Alarm: All diese Rituale zeigen, was es bedeutet, einem von uns die letzte Ehre zu erweisen. Jede Feuerwehr – ob großstädtische Berufsfeuerwehr oder kleine Landfeuerwehr – kann aus diesem Abschied Inspiration schöpfen. Wenn ein Kamerad sein Leben der Feuerwehr gewidmet hat, verdient er einen Abschied, der dieses Lebenswerk reflektiert. Es sind Gesten wie diese, die nicht nur den Verstorbenen ehren, sondern auch den Hinterbliebenen Trost spenden und den Zusammenhalt der Feuerwehrfamilie stärken.
Harald Unter hat in seinem 49-jährigen Leben 122 % für die Feuerwehr gegeben – und genau so, mit 122 % Einsatz der Kameradschaft, wurde ihm der Abschied bereitet. Sein Name mag auf dem Grabstein stehen, doch in den Reihen der Feuerwehr lebt sein Andenken weiter. Die Freiwillige Feuerwehr Alkoven und die Berufsfeuerwehr Linz haben an diesem Apriltag gezeigt, was es heißt, „gemeinsam durch dick und dünn“ zu gehen, selbst über den letzten Einsatz hinaus. Ihr zutiefst emotionaler, würdevoller Abschied von Harald Unter sendet eine klare Botschaft an alle Feuerwehren: Ein Feuerwehrmann ist nie allein – weder im Einsatz noch auf seinem letzten Weg.

Hier geht es zum Video: https://youtu.be/3lJxtge5fMs