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10 STUNDEN

RETTUNGSÜBUNG IM

SCHLUND DES BERGES

10 Stunden Rettungsübung im Schlund des Berges

TEXT & FOTOS MARKUS LEITNER, BAYERISCHES ROTES KREUZ, KDÖR – KREISVERBAND BERCHTESGADENER LAND

Schlamm, Dunkelheit und Kälte: Höhlenretter aus ganz Bayern und Salzburg übten im Müllnerhörndl bei Bad Reichenhall für den Ernstfall. Auch der Job dieser Spezialeinheit kann – wie bei der Feuerwehr – bis an die Grenzen gehen. Ein Grund dafür, einen Blick auf diese Höhlenretter zu werfen.

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AUSGANGSSITUATION:
ABSTURZ AUS 8 METERN HÖHE
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Ehrenamtliche Höhlenretter der Bergwacht aus ganz Bayern und aus dem Salzburger Land haben im Müllnerhörndl bei Bad Reichenhall rund zehn Stunden lang mit vereinten Kräften unter sehr realistischen Bedingungen für den Ernstfall geübt: Angenommen wurde ein schwerer Absturz-Unfall aus rund acht Metern Höhe am hinteren Ende der Pfingsthöhle mit einem lebensgefährlich Verletzten und einer blockierten Begleiterin im Seil an der Schachtwand.

An die 70 Helfer im Einsatz

Neben 39 Einsatzkräften und Übungsmimen in der Höhle waren auch rund 30 weitere freiwillige Helfer unter Federführung der örtlich zuständigen Reichenhaller Bergwacht an der Oberfläche gefordert, darunter ein Führungsstab in der Bergrettungswache, das Team des Technikbusses der Bergwacht-Chiemgau, der Fachdienst Information und Kommunikation (IuK) der BRK-Bereitschaften, das Team für Realistische Unfall- und Notfalldarstellung des Jugendrotkreuzes (RUD) und der Betreuungsdienst (BtD) der BRK-Bereitschaften, der alle Teilnehmer mit Speisen und Getränken versorgte und ein beheiztes Zelt am Parkplatz der Predigtstuhlbahn aufbaute.

Vermisste in der Höhle

Petra und Peter aus Salzburg haben sich am Freitagnachmittag nach einer Tour durch die Pfingsthöhle im Müllnerhörndl bei Bad Reichenhall nicht bei ihren Verwandten zurückgemeldet – diese befürchten das Schlimmste und setzen bei der Leitstelle Traunstein einen Notruf ab, die zunächst die Reichenhaller Bergwacht zur Vermisstensuche alarmiert. Schnell wird klar, dass die beiden noch nicht aus der Höhle ausgefahren sind – ihr Auto wird am Parkplatz der Predigtstuhlbahn gefunden. Bergwacht-Einsatzleiter Christian Schieder fordert deshalb kurz nach 17 Uhr die Bergwacht-Höhlenretter nach, wobei Guido Fick die Einsatz-Abschnittsleitung für die Rettung unter Tage übernimmt.

Verstärkung rückt nach

Während ein flinker medizinischer Voraustrupp der nächstgelegenen Höhlenrettungswache aus Mitterfelden (Bergwacht Freilassing) zusammen mit dem Grassauer Bergwacht-Notarzt Dr. Christian Freund bereits vom Saalachsee aus über das trockene Bachbett in Richtung des Höhleneingangs aufsteigt und in die Höhle einfährt, rücken für die bevorstehende aufwendige Rettungsaktion weitere Einheiten aus ganz Bayern nach,  darunter Höhlenretter der Wachen München, Murnau und Samerberg (Rosenheim), das Team des Technikbusses der Bergwacht-Chiemgau, die BRK-Bereitschaften zur Verpflegung und Unterbringung der Einsatzkräfte (BtD) und kommunikationstechnischen Unterstützung der Einsatzleitung (IuK) sowie ein Führungsstab der Reichenhaller Bergwacht, der von der Rettungswache aus alle Abläufe zentral koordiniert. Der Bergwacht-Einsatzleiter lässt am Bereitstellungsraum an der Predigtstuhlbahn, am Material-Depot am Saalachsee-Ufer und am Höhleneingang insgesamt drei Schleusen errichten, an denen das eingesetzte Personal registriert und dokumentiert wird.

Das Gebiet um Bad Reichenhall ist unter Alpinsportlern und Höhlenkletterern sehr beliebt. Doch die Faszination birgt auch zahlreiche Gefahren. Müssen Höhlenretter hier tätig werden, wird es auch für sie selbst gefährlich

Opfer nur mehr bedingt ansprechbar

Als der Voraustrupp eintrifft, ist Peter nur noch bedingt ansprechbar; er hat sich mit letzter Kraft aus einem Wassertümpel am Wandfuß gerobbt, spürt seine Beine nicht mehr und liegt unterkühlt am Boden. Petra hängt gute zehn Meter oberhalb ohne Seil an der Wand im Wasserfall und ruft psychisch total aufgelöst um Hilfe. Notarzt Dr. Freund und die Sanitäter sorgen mit Wärmeweste, Rettungsdecken und Wärmezelt dafür, dass Peter nicht weiter auskühlt, kümmern sich über einen intravenösen Zugang um die Schmerzbekämpfung und versorgen mit Schienen und Verbänden die Platzwunden und Brüche. Ein nachrückender Technik-Trupp verlegt ein Telefonkabel bis zur Unfallstelle und meldet per Höhlen-Telefon und Höhlenfunk (Cavelink) Informationen zum aktuellen Zustand des Patienten und Personal- und Materialbedarf an die Oberfläche. Über einen eigenen Digitalfunk-Übungskanal werden alle weiteren Stellen stets auf dem Laufenden gehalten. Die  Einsatzleitung im Bergwachthaus arbeitet nach dem bewährten Stabsprinzip der Dienstvorschrift 100 (S1 bis S6). Mit drei Projektoren  und vielen Notebooks wird der Ablauf der Übung erfasst, dokumentiert und dargestellt. Dabei wird auch erfolgreich ein neues Einsatzerfassungssystem erprobt, das künftig bei Großschadenslagen zur Anwendung kommen soll.

Ein medizinischer Voraustrupp mit einem Notarzt versuchte so schnell wie möglich die vermissten Personen zu finden und erstzuversorgen. Die nachrückenden Einheiten befassen sich im Anschluss mit der Bergung. Oftmals ist ein Vorkommen nur Zentimeter für Zentimeter möglich.

Bei der Übung handelte es sich um ein Pärchen, welches in der Höhle verunglückte. Der Mann war beim Eintreffen der Trupps nur mehr bedingt ansprechbar und seine Begleiterin befand sich ca. 10 m oberhalb der Absturzstelle ohne Seil in der Wand.

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70 HELFER WAREN AN DER ÜBUNG BETEILIGT
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Der Schwerverletzte muss so erschütterungsfrei wie möglich durch die engen und verschlungenen Gänge transportiert werden. Dieser Aufwand ist für alle Beteiligten enorm kräfteraubend und auch sehr zeitintensiv.

Aufgrund der niedrigen Temperaturen und der hohen Luftfeuchtigkeit in der Höhle muss der Verunglückte nach der medizinischen Erstversorgung auch vor Unterkühlung geschützt werden.

Die große Enttäuschung

Es folgt eine große Enttäuschung, als Übungsleiter Rudi Hiebl unerwartet wegen der fortgeschrittenen Uhrzeit abbrechen lässt und Peter wieder aus seiner Schwerverletzten-Rolle schlüpfen darf und zu Fuß an die Oberfläche kraxeln muss. „In Wirklichkeit würde die Einsatzleitung die durchgeschwitzten und durchnässten Retter jetzt im Schichtdienst ablösen lassen“, erklärt Achim Tegethoff von der Bergwacht Marquartstein, der nach dem Riesending-Einsatz zu den Freilassinger Höhlenrettern gestoßen und seitdem zusammen mit seinem Sohn Christian mit viel Begeisterung dabei ist. Im Müllnerhörndl ist aber vorerst Schluss, denn die Spreng-Berechtigten müssen am Samstagvormittag noch im Steinbruch des Kieswerks am Saalachsee ihre Lizenz verlängern und sollen sich zuvor ein wenig ausruhen. Alle fahren aus, melden sich bei der Schleuse am Ausgang ab, steigen müde bei Regen und leichtem Schneefall durchs rutschige Bachbett ab und werden Gruppe für Gruppe zum Bereitstellungsraum an der Predigtstuhlbahn zurückgefahren, wo im beheizten Zelt Essen und Getränke warten. Die völlig vom Schlamm verschmutzte Schutzausrüstung kommt vorerst in Plastiksäcke – irgendwer muss sie dann irgendwann vom zentimeterdicken Dreck befreien.

Ist Licht am Ende der Höhle zu sehen, haben die Retter es bald geschafft. Doch auch die nächsten Tage wurden intensiv zum Auswerten und Besprechen der Übung genutzt.

Umfassende Arbeit danach

Das restliche Wochenende ist weiterhin vom Ehrenamt Höhlenrettung geprägt: Nach der Heimreise heißt es Schlaf nachholen, stundenlang Ausrüstung waschen und putzen, verbrauchtes Material nachrüsten und die neuen Erfahrungen besprechen und umsetzen. „Was wir bei Kälte, Nässe, Dunkelheit und Dreck mit viel Begeisterung tun, kann nicht jeder verstehen und hat viel mit Leidenschaft zu tun, die bekanntlich auch Leiden schafft und eine gewisse Zähheit voraussetzt“, erklärt Übungsleiter Rudi Hiebl, der mit der Leistung und überregionalen Zusammenarbeit aller beteiligten Einheiten sehr zufrieden ist. „Wir haben heute Nacht sehr viel gelernt, manches ist nicht optimal gelaufen und es haben sich Schwierigkeiten ergeben, an die in der Theorie niemand denken würde – aber genau deshalb üben wir so realitätsnah wie nur möglich!“