Horror
Unfall
Horror-Unfall
TEXT STEFAN SCHNEIDER (BEZIRKSFEUERWEHR-KOMMANDO BADEN) & HERMANN KOLLINGER
FOTOS STEFAN SCHNEIDER
Ohne Übertreibung war es ein Horrorunfall, mit dem sich die Einsatzkräfte auf der Außenringautobahn im niederösterreichischen Heiligenkreuz konfrontiert sahen. Viele erlebte Szenen lassen sich aus Pietätsgründen hier gar nicht beschreiben, sondern nur anschneiden… wenn überhaupt. Fünf Menschen starben in einem gegen einen Brückenpfeiler geschleuderten Kleinbus, während drei beim Eintreffen der Helfer schwerverletzt um Hilfe schrien.
HELFER STOSSEN AN IHRE GRENZEN
Zu einem der schlimmsten Einsätze in dieser Region sollte sich eine an jenem Sonntagmorgen, die Uhr steht auf ca. 05.35 Uhr, einleitend harmlose Einsatzmeldung für die Feuerwehren Heiligenkreuz und Alland im niederösterreichischen Bezirk Baden entwickeln.
STANDARDMELDUNG ZU BEGINN
„Begonnen hatte eigentlich alles wie ein Einsatz, den viele Feuerwehrmitglieder schon oft erlebt haben“, erzählt Stefan Schneider vom Bezirksfeuerwehrkommando Baden. „Sonntagfrüh, Verkehrsunfall. Die ersten Mitglieder der freiwilligen Feuerwehren Alland und Heiligenkreuz begeben sich ins Gerätehaus, ziehen sich um und rücken mit dem ersten Fahrzeug aus“ – Abläufe wie sie für diese Autobahnfeuerwehren immer wieder vorkommen. Die Autobahnpolizei war zuvor zu einem vermeintlichen „Wildunfall“ alarmiert worden.
STEIGERUNG DER ALARMPRIORITÄT
Bei der Ausrückemeldung an die Feuerwehrbezirksalarmzentrale Baden kam dann die erste Information des diensthabenden Leitstellendisponenten über eine noch unklare Lage, da verschiedene Meldungen (in den Leitstellen der Feuerwehr, Rettung und Autobahnpolizei) eingegangen waren. „Nur wenige Minuten später kam über Funk die nächste Meldung an die zufahrenden Feuerwehreinsatzkräfte, die plötzlich den Puls hochschnellen ließ“, schildert Schneider weiter. „Die eintreffende Streife der Autobahnpolizeiinspektion Alland meldete, dass mindestens eine Person eingeklemmt sei. Sofort wurde die Alarmstufe erhöht und eine Nachalarmierung auf Menschenrettung veranlasst!“
Der erste Eindruck sorgte dann jedoch für Verwirrung: Bei einer Autobahnbrücke stand eine Streife der Autobahnpolizei, einige hundert Meter weiter erkannte man aber erst die Warnblinkanlagen von Fahrzeugen. Wo bleibt man stehen? Was ist da passiert?
»Bereits beim Annähern waren die vor Schmerzen schreienden Opfer zu hören«
SCHREIE IM DUNKELN
Ein Polizist machte auf sich aufmerksam und gab den ersteintreffenden Feuerwehrmännern klar zu verstehen, dass sich das Unfallfahrzeug, ein Van oder Kleinbus unter der Brücke, hinter der Leitschiene befindet. Schon beim Näherkommen, konnte man die markerschütternden Schmerzschreie der Opfer im Dunkeln wahrnehmen. Das genaue Bild, das sich bot, ist kaum mit Worten zu beschreiben.
MENSCHENRETTUNG LÄUFT AN
Sofort begannen sie mit der Arbeit, erkundeten die Lage, sorgten für die notwendige Beleuchtung, nahmen das erste hydraulische Rettungsgerät in Betrieb und gaben die ersten Eindrücke an die nachrückenden Kräfte weiter. Die ebenfalls eintreffende Mannschaft des RTW Rotes Kreuz Alland forderte nach Lageerkundung sofort über ihre Leitstelle weitere Notärzte und Rettungsteams nach. Kurze Zeit später traf auch das Kleinrüstfahrzeug der Freiwilligen Feuerwehr Heiligenkreuz mit drei Mitgliedern an der Einsatzstelle ein. Gemeinsam wurde mit der weiteren Erkundung und den ersten Befreiungsversuchen der Opfer begonnen. Aus Gründen der Pietät sei hier auf die genaue Beschreibung verzichtet, nur so viel: Priorität hatte selbstverständlich die Rettung der Überlebenden, deren Erreichbarkeit jedoch teilweise nur über Verstorbene hinweg führte.
GROSSAUFGEBOT AN HELFERN KOMMT ZUM EINSATZ
Währenddessen lief die Verständigung und das Eintreffen eines Großaufgebotes an Rettungskräften an. Die FF Klausen-Leopoldsdorf als Unterstützung, zwei ÖAMTC Rettungshubschrauber C3 + C9, mehrere Rettungswägen (Rotes Kreuz u. Arbeiter Samariterbund) und Notarzteinsatzfahrzeuge, ja sogar ein Notarzt am Heimweg von seinem Dienst eilten
zur Hilfe. Mitarbeiter der ASFINAG Alland unter der Leitung von Autobahnmeister Ing. Martin Kottek sorgten mit Unterstützung verschiedener Polizeidienststellen mit einer Blitzaktion für eine Totalsperre des Teilabschnittes der A21 zwischen der Anschlussstelle Mayerling bis Hinterbrühl und ermöglichten so den eingesetzten Rettungskräften ein gefahrloseres Arbeiten.
RETTUNG DAUERT EINE STUNDE
Rund eine Stunde nach dem Eintreffen der ersten Rettungskräfte konnte auch die letzte Person mit Lebenszeichen aus dem Wrack befreit und erstversorgt werden. Leider mussten an diesem Sonntagmorgen fünf Menschen ihr Leben lassen. Trotz des unvorstellbaren Szenarios kämpften die vier Notärzte und die zahlreichen Rettungssanitäter um das Leben der noch nicht verstorbenen Fahrzeuginsassen. Die Feuerwehr musste unter schwierigsten Bedingungen die Verletzten aus dem total deformierten Wrack befreien.
Drei weitere Personen, darunter auch ein junges Mädchen, konnten jedoch erfolgreich befreit, versorgt und abtransportiert werden. Mittlerweile ist bestätigt, dass alle drei, trotz teils schwerwiegender Verletzungen, stabil und somit außer Lebensgefahr sind. Bei dem Unfall konnten mehrere nachkommende Fahrzeuge in der Dunkelheit den auf der Fahrbahn liegenden Wrackteilen nicht mehr ausweichen. Eine aus dem verunfallten Kleinbus auf die Fahrbahn herausgeschleuderte Person wurde dabei ebenfalls erfasst. Vor allem bei Unfällen mit Todesfolge und unbekannter Unfallursache muss eine sehr aufwendige und zeitintensive Unfallaufnahme durch die Polizei erfolgen. Da sich die Unfallstelle auf über 200 m erstreckte, kam auch ein Polizeihubschrauber zur Fotodokumentation aus der Luft zum Einsatz.
HARTE ARBEIT BEI DER BERGUNG DER OPFER
Erst nach der Freigabe des Wracks und der Unfallstelle konnte mit der Bergung der Verstorbenen begonnen werden. Hier waren es wieder die Feuerwehrkräfte, die die Aufgabe hatten, das anwesende Bestattungsunternehmen bei der Bergung der Opfer zu unterstützen. Zwischenzeitlich mussten auch auslaufende Betriebsmittel gebunden werden.
„Wir haben beim Eintreffen ein Bild vorgefunden, auf das wir nicht eingestellt waren”, erläutert Feuerwehreinsatzleiter Georg Baden von der Freiwilligen Feuerwehr Alland gegenüber den Medienvertretern vor Ort. Noch während der laufenden Rettungsarbeiten mussten unzählige Medienanfragen über die Presseabteilungen aller Blaulichtorganisationen abgewickelt und in Folge Interviews mit Journalisten direkt an der Einsatzstelle organisiert bzw. unterstützt werden.
HILFE FÜR DIE HELFER
Bereits in der Anfangsphase der Rettungsaktion forderten die Führungskräfte der Einsatzorganisationen psychologische
Hilfe für die eingesetzten Kräfte an. Für viele der teilweise sehr jungen Einsatzkräfte war es eine sehr schwierige Situation. Während die Unfallzeugen und die Lenker jener Fahrzeuge, welche einen der Fahrzeuginsassen erfasst hatten, vom Team der Krisenintervention betreut wurden, rückten auch Spezialkräfte der Rettung, Feuerwehr und Polizei aus, um die eingesetzten Kameraden zu betreuen.
Bei der Feuerwehr rückte der „Sonderdienst Stressverarbeitung nach belastenden Ereignissen (SvE)“ aus. Die sogenannten „PEERs” sind speziell geschulte Feuerwehrleute, die entweder in Kleingruppen oder Einzelgesprächen das Erlebte mit betroffenen Feuerwehrleuten zeitnahe aufarbeiten. Auch die Rettung entsandte speziell geschulte Mitarbeiter des „Support Teams”; ebenso schickte das Bezirkspolizeikommando Baden einen speziell geschulten Beamten auf die Unfallstelle, um die Kollegen zu betreuen.
»Das Erlebte lässt sich kaum mit Worten beschreiben«
AN DIE PHYSISCHE LEISTUNGSGRENZE
Bei dem Horror-Einsatz auf der A21 kamen selbst erfahrene Einsatzkräfte an ihre Grenzen. Zum Glück gibt es in allen Organisationen speziell geschulte Kameraden, die zum Einsatz kommen, wenn die Helfer Hilfe brauchen! Die Berge- und Aufräumarbeiten dauerten bis in die späteren Nachmittagsstunden. Dazu unterstützte auch ein privates Bergeunternehmen sowie ein privates Spezialunternehmen bei der Reinigung der Fahrbahn.
EIN SCHWARZER TAG
Auf der Internetseite der Freiwilligen Feuerwehr Alland findet man einige Gedanken zu diesem tragischen Einsatz: Dies ist kein konventioneller Einsatzbericht, dies sind die Gedanken eines Feuerwehrmannes, der seine Kameraden Unbeschreibliches leisten hat sehen. Heldentum hat mit diesem Ereignis nichts zu tun. Es sind einfach Menschen, die im Dienst der guten Sache ihre Arbeit, so gut es ging, erledigten.
Dass der 10. September 2017 ein so schwarzer Tag werden würde, hätte man nicht annähernd erahnen können. Die unfassbare Tragödie, ausgelöst durch pure mechanische Gewalt, lässt sich schwer in Worte fassen. Entstellte Körper, ein nicht
identifizierbares Wrack sowie ein Schauplatz, den man unmöglich beschreiben kann, taten sich den ersteintreffenden Kräften der Feuerwehr Alland auf, die sich der Unfallstelle an diesem Sonntagmorgen näherten.
Wo fängt man an zu helfen? In der Morgendämmerung nimmt man nur schemenhaft die Ausmaße des Szenarios wahr, welches sich einem bietet. Menschen, die schmerzerfüllt um Hilfe schreien, eingeschlossen in etwas, das nur Minuten zuvor ein intakter 9-Sitzer auf dem Weg in die Heimat war.
Feuerwehrkräfte aus Alland, Heiligenkreuz und Klausen-Leopoldsdorf, Rettungskräfte aus drei Bezirken und 2 Rettungshubschrauberteams kämpfen stundenlang um das Leben von 8 Menschen. Für einige von ihnen kommt auch die schnellste Hilfe zu spät. Aber viele werden sich an diesen Tag auf ewig erinnern.
Der Verkehrsunfall am 10. September 2017 wird in die Geschichte der Feuerwehr Alland als der Schlimmste seit über 20 Jahren eingehen. Die eingesetzten Kräfte haben das Glück, sich professioneller Hilfe bedienen zu können, um die Erlebnisse dieses Sonntagmorgens erträglich zu machen.