Die STURM
NACHT
Die Sturm Nacht
TEXT UND FOTOS DANIEL FRYMARK
Wohl niemand ahnte, dass eine Augustnacht das Leben vieler Bewohner der Kaschubei und der Tucheler Heide (Polen) für immer verändern würde. Ein bis dahin beispielloses Ereignis brachte die Feuerwehren aus ganz Polen auf die Beine.
»Bei dem Unwetter starben 6 Personen, über 60 wurden verletzt, unter ihnen befinden sich 23 Feuerwehrleute. «
Es ist ein schwüler Augustabend. In der Luft ist das herannahende Gewitter spürbar. Schon bald ist klar, dass es nicht bei Regen und einigen Donnern bleiben würde. Am Himmel zucken Blitze, der Wind nimmt Geschwindigkeit auf und weht immer stärker. Die ersten Bäume fallen um. Später wird es umso schlimmer sein, wovon sich auf schmerzliche Weise jene überzeugen konnten, die diese Nacht unter freiem Himmel, in Campingwagen, Zelten oder unterwegs verbrachten.
Zusammenkunft in der Feuerwache
Gleich mit Beginn des Gewitters startet auch die Rettungsaktion. Die Feuerwehrleute fahren in Richtung Suszka, ein Ort unweit von Rytel, um den Pfadfindern, die dort ihr Lager aufgeschlagen haben, zu helfen. Zur Berufsfeuerwehr in Chojnice kommen weitere Einsatzkräfte aus Nachbarkreisen.
Noch vor Mitternacht erhalte auch ich telefonisch die Meldung: „ALARM!!! Zusammenkunft in der Feuerwache JETZT!“ Ich bin Fotoreporter und fotografierte nach dem Gewitter in Chojnice entwurzelte Bäume. Weder ich noch sonst jemand konnte sich vorstellen, dass der über unserer Region wütende Sturm solche katastrophalen Folgen haben würde.
Ich steige ins Auto und fahre zur Feuerwache. Dort ziehe ich schnell meine Uniform an und begebe mich gemeinsam mit den anderen nach Suszka. Einige Kilometer vor der Abfahrt zum Lagerplatz gibt es einen gewaltigen Stau: Pkw, Feuerwehrfahrzeuge, Rettungsfahrzeuge, die auf dem Randstreifen warten. Erste Informationen sprechen von 30 Schwerverletzten im Pfadfinderlager und von einer unbekannten Zahl Todesopfer. Wir suchen nach einer anderen Zufahrt zu den Pfadfindern. Leider sind alle Wege von umgestürzten Bäumen versperrt. Wir setzen uns in Bewegung und beginnen damit, mühevoll eine Schneise zur Staatsstraße Nr. 22 zu schneiden.
Die Förster schätzen, dass der Sturm über 45 Tausend Hektar Wald zerstörte.
Das Unwetter riss in einem Augenblick über 400 Kilometer Stromleitungen ab.
Mit dem Boot zum Lager
Erst bei Tagesanbruch wird mir klar, was in der Nacht geschehen war. Im Lichte der Morgensonne können wir die gewaltigen Schäden sehen. Von gesunden, starken Wäldern blieben nur abgebrochene Stümpfe übrig. Wir gelangen auf den Waldweg nach Suszka. Die R1-Tasche auf dem Rücken kämpfen wir uns durch herumliegende Äste zum Lager durch. Wir gehen zum See. Die Pfandfinder befinden sich am anderen Ufer. Gemeinsam mit den Urlaubern gelingt es uns, eines der am Ufer befestigten Boote zu lösen. Aus einem von einer umgestürzten Kiefer zerquetschten Campingwagen bauen wir uns Paddel. Wir sind zu viele. In das Ruderboot dringt von oben Wasser ein. Wir teilen uns in zwei Gruppen. Zuerst fahren die erfahrensten Rettungssanitäter, gleichzeitig gelangen zum Lager andere Feuerwehrleute. Die Pfadfinder befanden sich bereits seit einigen Stunden an sicheren Orten. Schon vorher kamen zum Lagerplatz Einwohner aus dem nahen Lotyn. Es ist ihnen gelungen, ein Lagerfeuer zu entfachen, damit sich die völlig durchnässten Kinder aufwärmen konnten. Es beginnt das Zählen der Personen und die Kontrolle, ob jemand fehlt. Schon jetzt ist klar, dass zwei Mädchen ums Leben gekommen sind. Der Regen hat die Waldwege aufgeweicht. Die Fahrt zum und vom Lagerplatz ist nur mit Vierradantrieb-Fahrzeugen möglich. Die Pfadfinder werden in Gruppen in die Schule in Nowa Cerkwia gebracht, wo für sie eine medizinische Versorgung organisiert worden ist.
»An den Rettungs- aktionen waren 99.087 Feuerwehrleute beteiligt. «
In den Wäldern der Region Gdansk wurden 30 bis 36 Millionen Bäume bzw. 10 Tausend Hektar Wald zerstört.
Gewaltige Schäden
Nachdem die Emotionen der schwierigen Rettungsaktion abklingen, lassen sich die Verluste feststellen. In der Gemeinde Konarzyny deckte ein Windstoß das Dach eines Einfamilienhauses ab. Der Schornstein ist umgestürzt und tötete dabei eine dort wohnende Frau. Ein Ast erdrückte auf dem Zeltplatz in Małe Swornegacie einen Touristen tödlich. So mancher verlor sein Lebenswerk: Haus, Wirtschaftsgebäude, Maschinen. Der Wald stürzte auf die Staatsstraße Nr. 22 und so auf darauf fahrende Fahrzeuge. Hochspannungsleitungen wurden zerrissen. Fast alle Straßen im Kreis Chojnice wurden versperrt. Suszka, Rytel, Swornegacie, Konarzyny und noch so mancher Ort in den Gemeinden Brusy und Chojnice wurden von der Welt abgeschnitten. Außerdem führten Kilometer von zerrissenen Stromleitungen zu Stromausfällen. Eine Zeitlang gab es keine Telefonverbindungen. Das Wasser am Damm in Mylof stieg bedrohlich. Es bestand die Gefahr, dass der Damm am Wasserkraftwerk bricht und den Ort Rytel überflutet. Freiwillige, die nicht auf die Hilfe der Armee warten wollten, machten sich selbst an den Brda-Kanal. Sie standen bis zum Bauch im Wasser und schnitten mit Sägen die Bäume in Stücke, die die Pfadfinder ans Ufer zogen.
Schon am ersten Tag nach dem Unwetter leisteten die Menschen eine unglaubliche Hilfe. Und nicht nur die Einwohner von Chojnice organisierten sich mit Hilfe sozialer Medien und sammelten Lebensmittel, Hygieneartikel, Wasser und Kraftstoffe für die Sägen. Es waren viele Leute, die bei der Beseitigung der Unwetterfolgen halfen, um Dächer mit Planen abzudecken und Schäden zu beseitigen.
Rolle der Feuerwehrleute
Eine wichtige Rolle bei den Hilfsmaßnahmen kam den Feuerwehrleuten der Berufs- und Freiwilligen Feuerwehren zu. Als das Telefonnetz kollabierte, halfen sie mit ihren Funkverbindungen. Da sie im Umgang mit Sägen fit sind, waren sie in der Lage, die Zufahrten zu den Ortschaften frei zu machen. Hilfreich waren auch die Notstromaggregate. Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren gaben, was ihnen am wertvollsten ist – ihre freie Zeit, und sie reichten ihre Hände zur Arbeit. Selbstlos halfen sie auch in schwierigen Situationen: Sie standen stundenlang im Wasser oder wateten durch Schlamm.
Nach dem Unwetter ist kein Leben mehr in Gefahr, doch übrig bleiben gewaltige Schäden. Die Folgen einer einzigen Augustnacht werden in der gesamten Region über Jahre, sogar Jahrzehnte spürbar sein.