DAS COOLSTE FEUERWEHR-MAGAZIN

FEUERTOD FÜR

57.000 SCHWEINE

Feuertod für 57.000 Schweine

TEXT HERMANN KOLLINGER
FOTOS STEFAN SAUER / DPA, PICTUREDESK.COM

Eine Schweinezuchtanlage in Alt Tellin im deutschen Mecklenburg-Vorpommern zählte nicht nur zu den größten Schweinezuchtanlagen in Deutschland, sie hatte auch eine sehr umstrittene Vergangenheit. Nach 10 Jahren Betrieb ging die Megaanlage Ende März 2021 in Flammen auf. Für viele Tierfreunde ein Aufatmen, wären bei diesem fatalen Großfeuer nicht auch sage und schreibe 57.000 Ferkel und Mutterscheine teilweise qualvoll zugrunde gegangen!

Schon bei Eintreffen der ersten Kräfte standen mehrere Ställe in Vollbrand. Die gewaltige Rauchsäule war weithin sichtbar und prophezeite nichts Gutes.

Die ca. 400 Einwohner zählende Gemeinde Alt Tellin (12 km südwestlich von Jarmen und 16 km südöstlich von Demmin) wird vermutlich den wenigsten unserer Leser ein Begriff sein. Bei engagierten Tierschützern hingegen wird hier der Adrenalinspiegel jedoch unweigerlich in die Höhe schießen. Alt Tellin ist der Standort einer 20 Millionen Euro Megaschweinezuchtanlage, die zu den größten in Europa zählt. Nicht weniger als etwa 9.000 Zuchtschweine sowie rund 50.000 Ferkel hatten dort ihr wohl erbärmliches Dasein bis zur Schlachtung, was bei den Ferkeln meist einer Lebenszeit von nur bescheidenen neun Monaten entspricht.

Betrieb immer wieder im Schussfeld

Wie die Recherche ergeben hat, stand die 2011 errichtete Anlage schon seit ihrer Planung im Schussfeld, sei es von Seiten der Anrainer und Landwirte, der engagierten Tierfreunde und auch von Seiten der Befürworter von einer lebenswerten Tierhaltung, die dort wohl alles andere als hochwertig einzustufen ist oder besser war. Auch während des laufenden Betriebes kam es immer wieder zu Beschwerden, sogar was den Brandschutz betrifft. Letztere Thematik wurde als in Ordnung kommuniziert. Dass dem offensichtlich nicht ganz so war, sollte sich Ende März nun auf dramatische Art und Weise zeigen. Erst 2019 erstickten übrigens mehr als 1.000 Schweine aufgrund einer defekten Lüftungsanlage.

Rauch aus mittlerem Stallgebäude

Der in weiterer Folge schwerwiegende Großbrand fand am Dienstagmorgen, 30. März 2021, in einem in Mitte der Großanlage situierten Stallgebäude seinen Ausgang. Zeugen berichteten in mehreren Videos, dass anfangs lediglich eine leichte Rauchentwicklung zu sehen war, welche sich dann wohl auch aufgrund des vorherrschenden Windes weiter intensivierte, wodurch sich das Feuer nach und nach über Dächer und Lüftungsanlagen auf angrenzende Stallgebäude ausdehnte. Einer Sprecherin in einem der Videos zufolge hätte man immer betont, dass ein größerer Brand aufgrund der vorhandenen Brandschutzeinrichtungen ein Ding der Unmöglichkeit wäre. Entweder haben diese Einrichtungen nicht funktioniert oder die Funktion fehlte, weil Brandschutzeinrichtungen gar nicht vorhanden gewesen waren. Darüber werden jedoch die weiteren umfangreichen Ermittlungen Auskunft geben, die bei Drucklegung dieser Ausgabe erst ihren Anfang genommen haben.

Nichts zu halten

Karsten Windmüller von der Freiw. Feuerwehr Jarmen im Interview: „Wir wurden um 09.02 Uhr zum Brand in die Ferkelaufzuchtanlage alarmiert. Fünf der 18 Ställe mit einer Länge von jeweils 90 Metern standen bei unserem Eintreffen schon in Vollbrand. Wir entsandten anfangs zwei Atemschutztrupps zum Innenangriff. Die beiden Trupps mussten jedoch recht schnell wieder den Rückzug antreten, da die Ställe langsam begannen, in sich zusammenzustürzen.“

Zum Zeitpunkt des Interviews waren bereits 16 Ställe vom Feuer betroffen. Am Nachmittag hieß es dann, dass trotz des Feuerwehrgroßeinsatzes alle 18 Ställe der Anlage niedergebrannt seien. „Wir konnten von den Ställen nichts halten”, wird Karsten Windmüller weiter zitiert. Letztlich habe man die Ställe „kontrolliert abbrennen lassen müssen“, so die Aussage des Sprechers des Landkreises Achim Froitzheim im Tagesspiegel.

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DIESES EREIGNIS SOLLTE EIN UMDENKEN EINLEITEN
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Nicht viel Löschkraft?

Wenn man als Autor aus Österreich recht weit weg sitzt und es für viele Details zum Zeitpunkt der Drucklegung noch zu früh war, eines beschäftigt einen schon: Die Recherchen ergaben, dass bei dem Großbrand laut Angaben mehrerer Medien nur 70 Kräfte der freiwilligen Feuerwehren aus Jarmen-Tutow, Demmin und Anklam-Land beim Großbrand in Alt Tellin im Einsatz gestanden seien. Sollte dem tatsächlich so sein und das Ganze kein Recherchefehler der Medien sein und vergleicht man das mit einem klassischen Bauernhofbrand in Österreich, stehen hier schnell doppelt so viele Kräfte im Einsatz wie bei diesem Großfeuer in der Tierfabrik. Vielleicht ist das auch eine Motivation, mit eigenen Informationen seitens der Feuerwehr die Medien zu beliefern, um einen möglicherweise falschen Eindruck weitgehend zu vermeiden. Wenngleich es auf der Hand liegt, dass es hier vermutlich auch einen Informationsknebel an die Feuerwehr gab (was dennoch sachlich neutrale Angaben dieses nicht übersehbaren Ereignisses nicht ausschließen würde).

Auch die Videos im Netz zeigen – neben kreischenden Tieren – auch in fortgeschrittener Einsatzphase recht spärliche Löschmaßnahmen. Aber hier waren die meisten Kräfte wohl in erster Linie mit den Tierrettungen beschäftigt, soweit dies noch möglich war. So schildert ein Journalist in einem Video mit dem Feuer im Hintergrund: „Die Feuerwehr handelt. Allerdings sehr zurückhaltend, nur ein Löschangriff (über eine Tragkraftspritze) ist zu verzeichnen. An den anderen Stellen sind die Einsatzkräfte damit beschäftigt, die Tiere auseinanderzutreiben. Sie stehen vor einer nahezu unüberschaubaren, nahezu apokalyptischen Situation.“ Ein Übergreifen der Flammen auf die Biogasanlage sowie die Futtersilos konnte von den Feuerwehrkräften aber verhindert werden. Vor allem die Biogasanlage war ein weiteres heikles Thema, da sich während der Löscharbeiten der Wind gedreht hatte und diese gefährdete. Daraufhin kühlte die Feuerwehr die Anlage vorsorglich und erfolgreich mit Wasser.

Ursache und Hintergründe unklar

Die Ursache für das verheerende Großfeuer als auch die Umstände und viele Hintergründe lagen zu Ostern natürlich noch nicht am Tisch bzw. war die makabre Einsatzstelle zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal geräumt. Der Betreiber der Anlage hielt sich den Medien gegenüber bis zu diesem Zeitpunkt ebenso sehr bedeckt. Bis zur Freigabe des beschlagnahmten Brandortes darf auch die Beräumung nicht beginnen, sagte der Polizeisprecher. So war auch die Entsorgung von Tausenden Tierkadavern noch nicht geklärt. Wie Kreissprecher Achim Froitzheim erklärte, sind mit den Tieren viele Kunststoffteile wie Spaltenböden verbrannt. So müssten die Behörden entscheiden, ob die vielen Kadaver noch in die Tierkörperbeseitigung kämen oder als Sondermüll entsorgt werden muss. Die überlebenden Schweine wurden in andere Ställe transportiert – auch nicht ganz ohne Zwischenfälle, die von viel Emotion geladen waren. So schreibt das Unternehmen in einer Erklärung: „Mit Unverständnis blicken wir auf die Tatsache, dass Lkw-Fahrer vor Ort mit Steinen beworfen und die Tiertransporte zudem mit Autos verfolgt worden sind.“

Nur 1.500 Tiere gerettet

Das Großfeuer selbst sollen nur bescheidene 1.500 Schweine überlebt haben (die Berichte variieren mit Zahlen zwischen 1.300 und 1.500), wovon einige verletzte Tiere aber ebenso erlöst werden mussten. „Wir erlebten hier eine Katastrophe für tausende Tiere, die qualvoll erstickten oder bei lebendigem Leib verbrannten“, berichtete Kerstin Lenz, Vorsitzende des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern des Deutschen Tierschutzbundes. „Problematisch war auch, dass aufgrund der Fixierung der Muttersauen in Kastenständen und sogenannten ‚Ferkelschutzkörben‘ sowohl eine Rettung als auch eine Flucht der Sauen und Ferkel so gut wie unmöglich war. Zudem laufen Schweine in Panik überall hin, nur nicht unbedingt gezielt ins Freie – selbst wenn Türen geöffnet werden und sie nicht fixiert wären”, sagt Nicole Langebeck, Provieh-Fachreferentin für Schweine.

Auch politische Diskussion

In der Landespolitik sorgte das Großfeuer für Forderungen nach einer generellen Abkehr von derartigen Großanlagen. „Das Maß ist nicht voll – es ist übergelaufen“, erklärte der agrarpolitische Sprecher der Linksfraktion im Landtag Wolfgang Weiß in einem Interview. Die Alt Telliner Schweinezuchtanlage hätte wegen Mängeln beim Brandschutz nie in Betrieb genommen werden dürfen. Das wies der Betreiber zurück: Die Betriebsstätte Alt Tellin sei „stets unter Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie einer vorliegenden Brandschutzverordnung betrieben worden“. 

Einen Tag nach dem Großbrand in der Schweinezuchtanlage Alt Tellin (Vorpommern-Greifswald) hat sich der Betreiber, die Landwirtschaftliche Ferkelzucht Deutschland (LFD) Holding (Roßdorf), bei den Einsatzkräften bedankt. Mit Hilfe der Feuerwehr und der eigenen Mitarbeiter hätten noch Tiere aus den brennenden Ställen gerettet werden können, teilte man in einer ersten Pressemitteilung mit. Übrigens: Erst Ende Februar starben bei einem Feuer in einer Mastanlage in Kobrow (ebenfalls Mecklenburg-Vorpommern) rund 3.000 Schweine.